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Dienstag, 8. Februar 2005
Barrierefreiheit und Zertifizierung oder Prüfung von Webauftritten
Webworking
Zum Thema der Zertifizierung gab es in den letzten Tagen einige kontroverse Diskussionen in der „Szene“. Hier mein Statement dazu, wie es auch in Teilen auf dem neuen Forum von einfach-fuer-alle.de zu finden ist:

Ich denke jedoch eine einfache Antwort wird es auf die Frage Zertifizierung nicht geben können.

Wohl kann man aber gegen gewisse Vorgehensweise eindeutig Stellung beziehen. So war das vorgehen der AbI-Leitung für die Unterstützer doch ein heftiger Schlag gegen den Glauben darin, dass man gleichberechtigt und zusammen für ein Ziel eintritt.
Zwar ist Glaubwürdigkeit und Vertrauen untereinander nicht unbedingt eine themenbezogene Sache, jedoch hat sie indirekt Wirkung, da sie zu einer möglicher Aufsplittung und aufgrund verletzter Gefühle automatisch zu einer Mehrstimmung in der Sache führt.

Wir sollten uns jedoch wegen der Bedeutung der Barrierefreiheit für Gesellschaft und der Nachhaltigkeit von zukünftigen Technologien bemühen wieder zum eigentlichen Kern der Sache zu kommen.

Ich möchte gleich bei den Hintergründen anfangen; Die negativen Aspekte der Zertifizierung und warum es in der möglichen vorgeschlagenen Form nicht sinnvoll ist, haben andere bereits zu genüge erwähnt. Zudem ist es meiner Ansicht nach Zeit, das man eher zur Praktik kommt. Dogmatische und theoretische Gedankenspiele sind zwar von besonderer akademischer Attraktivität, helfen uns aber wenig wenn wir auf die Realität der Umsetzung echter Webauftritte treffen.

Fassen wir zusammen, was die Situation ist:
Wir haben es mit drei, wenn nicht gar vier Parteien zu tun: Dem Betreiber einer Webseite, der Agentur, die diese gestalten (und vielleicht auch verwalten) soll, dem Leser der Webseiten und auch Regularien in Form von Gesetzen, Verordnungen oder Standardisierungsvorschriften.


Der Betreiber eines Webauftritts beauftragt eine Agentur um eine Site zu erhalten, die sich zuallererst an die Nutzer richtet und dann weitestgehend an die Regeln der Barrierefreiheit hält. Für den Betreiber und Auftraggeber ist es Aufgabe der Agentur die Seiten entsprechend den Regeln zu erstellen. Der Betreiber hat meist hierin selbst keine Kompetenz. (Wenn es die hätte, würde es oft keine Agentur beschäftigen, sondern es teilweise selbst machen.)
Um jedoch die Arbeit der Agentur zu testen, brauch jeder Auftraggeber eine einfache Möglichkeit, die Erfüllung der Regeln zu testen.
Dies kann durch automatische Mechanismen, wie beispielsweise mit dem HTML-Validator oder durch spezielle Testpläne.
An dieser Stelle beginnen dann jedoch viele Vertreter der Barrierefreiheit einen groben Fehler: Sie haben zwar recht damit, dass es kein vollständiges und automatisches Verfahren geben kann, dass den Test auf Barrierefreiheit mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet, jedoch ist die Alternative in Form von aufwendigen Testplänen auch keine Lösung.
Selbst der so genannte „Kurztest“ von BIK-Online ist bei weitem zu zeitaufwendig als das der normale und nicht unbedingt fachkundige Betreiber einer Website diesen nutzt um die Arbeit einer Agentur zu testen. Im Bewusstsein eines Auftraggebers ist es Aufgabe der Agentur dafür zu sorgen, dass alles passt so wie es sein soll.
Um ein Beispiel aus einem anderen Themengebiet zu bringen: Wer testet nach den Kauf eines Neuwagens diesen selbst auf Grundlage der TÜV-Bestimmungen?

Bei einem Neuwagen kann jedoch jeder sehen, dass das Auto in Ordnung ist, weil es die notwendigen Plaketten hat. Man brauch es nicht selbst zu testen oder sich mit Stoßgebeten vor jeder Fahrt vorbereiten.

Aus dieser Sicht sehe ich die Zertifizierung einer Website zunächst als sinnvoll an. Mit dieser Sichtweise und dem Vergleich zum TÜV ist es auch sinnvoll und richtig, dass eine sorgfältige Zertifizierung nicht umsonst sein kann und sich nach bestimmten Verfahren richten muß.
Und wie auch beim TÜV muss ein der Sache dienliches Verfahren mit der Zeit durch eine Kontrollinstanz den neuen Gegebenheiten angepasst werden.
Worüber man streiten könnte ist die Art des Verfahrens, die Art der Kontrollinstanz und wer die Tests durchführen kann.

So weit, so gut. Und so ein Irrweg!

Eine Zertifizierung einer Website lässt sich bei weitem nicht vergleichen mit einer TÜV-Prüfung. Wenn einer Vergleich der Sache nahe kommt, dann der mit den Tests von der „Stiftung Warentest“.
Im Gegensatz zum Auto wird bei der Einhaltung der Barrierefreiheit nur der Aspekt der allgemeinen Nutzbarkeit getestet. Bei Auto geht es um die Funktionalität und um so „unwesentliche“ Sachen wie Betriebssicherheit. Sachen, bei denen es um Leben und Tod gehen kann.
Die Nutzbarkeit einer Website ist jedoch nicht gleichzusetzen mit ihrer Funktionalität; Die eigentliche Funktion einer Website ist das Vorhalten und Anbieten eines Inhalts.

Eine Zertifizierung der Barrierefreiheit eines Webauftritts ließe sich beim Übertrag auf das TÜV-Beispiel allenfalls vergleichen mit dem Test der Autositze und des Lenkers darauf, ob sich diese an unterschiedliche Personen anpassen lassen. (Übrigens ein Hinweis darauf, dass das TÜV-Beispiel gar nicht mal so unpassend ist. Im Sinne der Barrierefreiheit wäre es sicherlich bei Autos eine Forderung, eben die generelle Anpassbarkeit der Sitze und Bedienelemente einzuführen.)

Um nicht abzuschweifen, noch mal auf den Punkt gebracht: Eine Website wird durch ihren Inhalt bestimmt. Nicht durch die Art der Darstellung. Eine Seite kann noch so Barrierefrei, ideal, hoch gelobt und voller Auszeichnungen kleiner gelber Honigschlecker sein: Wenn ein Webauftritt keinen ausreichenden oder nachhaltigen Inhalt hat hilft sie den Benutzern weniger als ein Webauftritt der die relevanten Inhalte hat, aber weniger barrierearm ist.
Oder um es mit obigen Vergleich darzustellen: Was bringt Ihnen ein Auto, dessen Sitze zwar nach DIN-Norm hergestellt sind, Sie aber dann während der Fahrt feststellen, dass die Bremsen von einem Fahrrad genommen wurden?

Wenn es jemals eine Zertifizierung geben sollte, so kann diese nur Sinn machen, wenn in ihr alle wesentlichen Eigenschaften und also auch die Funktion der Website berücksichtigt werden.
Doch wie testet man Inhalte? Aus der Informatik und der Linguistik bieten sich hierzu zwar Verfahren an, mit denen sich Relevanz, Aktualität und Sprachqualität ermitteln lassen könnte. Doch auch diese Verfahren finden ihr Ende, wenn Inhalte komplex werden, von mehreren Autoren erstellt werden und auch die Nachhaltigkeit des gesamten Webangebots betrachtet werden soll.

Wenn es eine Art Zertifikat geben kann, dann allenfalls in der Art, wie es die „Stiftung Warentest“ seit Jahren erfolgreich tut. Ein Webauftritt kann nach diesen und jenen Aspekten untersucht und mit anderen verglichen werden. Doch es gibt kein Zwang. Interessierte Benutzer können selbst entscheiden, ob sie sich nach den Empfehlungen des Magazins richten. Genauso wie die Anbieter entscheiden können, inwieweit sie den Marketingwert einer positiven Beurteilung durch Verbesserung des Produkts forcieren wollen.

Deswegen:
„Nein“ zu einer Zertifizierung der Barrierefreiheit von Webauftritten, aber „Ja“ zu einer freiwilligen Prüfung.



Noch ein paar Anmerkungen bezüglich des Bedeutungsinhaltes obigen Vergleiche:
Sicherlich ist Barrierefreiheit nicht darauf zu beschränken, dass es nur eine von vielen Darstellungsformen ist. Barrierefreiheit ist deswegen so wichtig, weil es in seiner Wirkung auf die Grundgedanken der Menschenrechte zurückgeht: Jeder hat ein Recht darauf, selbst zu entscheiden, wie er auf Informationen zugreift. Niemand darf in der Freiheit seiner Wahl der Mittel beschränkt werden.
(Doch kann man die Einhaltung von Menschenrechten zertifizieren? Wird der Bapperl dann auf die Landesfahne geklebt? )
Wir haben eine Verordnung und Gesetze, welche die Barrierefreiheit von Einrichtungen des öffentlichen Rechts fordern. Doch es wurde schon oft dargelegt, dass die BITV in der jetzigen Fassung nicht geeignet ist für eine Zertifizierung.
Der Gedanke der Zertifizierung muss daher auch hierbei fallen gelassen werden.

Was jedoch zu oft völlig unter dem Tisch fällt bei Vertretern der Barrierefreiheit ist der Fakt, dass Barrierefreiheit keine Einbahnstraße ist. Die Prinzipien der Barrierefreiheit und insbesondere der Bestandteil „Freiheit“ gilt nicht nur für den Nutzer, sondern auch für den Inhaltsanbieter!
Wenn wir nicht in Gefahr der Uniformität und der Überregulierung des Netzes laufen wollen, müssen wir den Anbietern von Webauftritten auch weiterhin die Freiheit lassen, individuell und selbst bestimmt zu entscheiden, wie diese welche Informationen darstellen wollen. Es besteht die reale Gefahr, dass der Umfang an publizierten Informationen im Web reduziert wird, weil Inhaltsanbieter zu sehr und zu streng durch Verordnungen und Gesetze an bestimmte Darstellungsformen gebunden sind, die sie nicht dauerhaft erbringen können.
Ein Zertifikat, welches zu einer Kostensteigerung führen würde, hätte hier nur negative verstärkende Wirkung.

Wie überprüft nun der Auftraggeber?
Ein Grundproblem bleibt dennoch erhalten:
Wie kann ein Auftraggeber einer Agentur die geleistete Arbeit schnell und sicher überprüfen?

Aber muss er dies überhaupt?

Bei Eintreffen einer Verbandsklage wird dem Betreiber einer Webseite ein Zertifikat auch nicht nutzen – die Prüfung wird immer vor Gericht oder Mediator erfolgen. Ein Zertifikat hat im Fall des Falles nur eine Wirkung: Es gibt die Aussage, dass Betreiber sich zumindest vorher Gedanken gemacht hat – ähnlich der Wirkung der "Link-Disclaimer" in einem Impressum. Das kann für, aber auch gegen einen verwendet werden.

Anforderungslisten statt Zertifikat

Meine Empfehlung für Auftraggeber bestände von daher darin, eine Liste von Minimalanforderungen zu gestalten, die als solche auch in der Auftragsdefinition kommen müssen. Die Forderungen sollten sich dabei nach der aktuellen BITV richten.
Die BITV ist zwar nicht perfekt und enthält einige Fehler, berücksichtigt viele neue Techniken noch nicht, aber sie hat ein Vorteil:
Die BITV existiert und ist somit keine theoretische Denkblase.

Zu den Vorwurf der Veralterung der BITV muss man jedoch stehen und darauf hinweisen, dass auch die BITV bald überprüft und wohl auch in Zukunft erweitert (entrümpelt) wird.

Folgende Anforderungsliste hab ich mit Hilfe des Feedbacks aus der deutschen WAI-Liste erstellt um sie als Hilfe für Einrichtungen anzubieten, die Agenturen beauftragen um ihre Webauftritte gestalten zu lassen:

Einige der folgenden Forderungen und Bedingungen sind im Rahmen der Vertragsverhandlungen zur Erlangung eines besseren Angebotes diskutierbar. Solche Forderungen, die jedoch auf jedem Fall und ohne Änderung in die Auftragsbeschreibung gehören, werden mit dem Hinweis Kernforderung gekennzeichnet.
  1. Alle Webseiten sind gemäß Priorität I der BITV-Checkliste zu erstellen. (Kernforderung.)
    Um eine bessere Barrierefreiheit zu erhalten und um gegen zukünftig mögliche strengere Verordnungen abgesichert zu sein, wird die Einhaltung der Priorität II empfohlen.
  2. Die optische Gestaltung und der Inhalt der Seite sind zu trennen. Die Optik einer Webseite darf nur mittels Cascading Stylesheets (CSS) beeinflußt werden. (Kernforderung.)
  3. Die Inhalte aller Seiten müssen mit allen Internetfähigen Browsern (dies schließt sowohl ältere Webbrowser, als auch Screenreader und neuere UMTS-Handys mit ein) erreichbar und lesbar sein. (Kernforderung.)
  4. In Erweiterung zu Regel 10 von Priorität I der BITV-Checkliste gelten folgende Anforderungen an Nutzbarkeit des Webdesigns. Die optische Gestaltung soll auf folgenden Browsern getestet und nutzbar sein:
    • Firefox ab Version 1
    • Mozilla ab Version 1.3
    • Internet Explorer ab Version 5.5
    • Opera ab Version 6
  5. Webseiten sind nur in einem der folgenden Dokumententypen zu erstellen:
    • XHTML 1.0 strict
    • HTML 4.01 (strict oder transitional)
    Es ist hierbei zu beachten, daß Satz 3.2 der Priorität I der BITV-Checkliste die Validität der verwendeten Sprachen fordert.
  6. Alle Webseiten sollten suchmaschinenfreundliche URLs aufweisen.
Bei der Verwendung von WCMS sollten solche Systeme verwendet werden, bei denen sich fest definierte und dauerhaft zugreifbare URLs einrichten lassen.
Die gesamte Liste der Forderungen, die eine Einrichtung an einem Unternehmen stellen könnte, findet sich hier: http://www.rrze.uni-erlangen.de/dienste/web/auftritte/anforderungen.shtml


Was bleibt zu tun, was ist offen?

Die Regeln der BITV werden ab 2006 neu geprüft und dann wohl auch an den neuen Gegebenheiten angepasst. Dies kann und wird sich sicher eine Zeitlang hinziehen, da in diesem Prozess sich inzwischen mehrere Interessengruppen beeinflusst sehen. Kommerzielle Interessen werden dabei sehr schnell mit denen von budgetarmen Kommunen und denen von Barrierefreiheitsverfechtern, aber auch mit den Partikularinteressen von einzelnen Verbänden zusammenstoßen.
Der zeitliche Ausgang ist da völlig ungewiss.
Als Betreiber eines Webauftritts sollte man sich jedoch nicht zurücklehnen und erwarten, wegen dem Abstimmungsklamauk betrifft ihn das ganze nicht. Weit gefehlt.
Auch das Impressumsrecht ist alles andere als fehlerfrei. Und doch wurde es benutzt und damit einige Betreiber von Webauftritten durch Abmahnungswellen abrupt in die Wirklichkeit zurückversetzt.

Jeder professionelle Webworker ist gehalten, das Thema von Zeit zu Zeit zu belauschen. Nicht unbedingt jeden Zoff, den eine Gruppierung mit der anderen hat und auch nicht irgendwelcher Stimmungsmache seitens Kommunalpolitiker, die für Barrierefreiheit kein Geld haben wollen (aber gleichzeitig Millionengelder für veraltete E-Government-Lösungen ausgeben).

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Spamfutter

Die folgenden E-Mail-Adressen dienen lediglich dazu, SPAM-Bots dazu zu verleiten, ungueltige Adressen in die SPAMer-Datenbanken zu schreiben. Bitte ignorieren.

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