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Dienstag, 30. März 2004
Feedback, Verordnungen, Barrierefreiheit, eGovernment
Kommentar
Etwas überrascht wurde ich vom Feedback zu meinen Artikel PR-Betrug mit dem Wort "Barrierefreiheit"
( http://xwolf.blogger.de/stories/84683/ ) .

Dort hab ich mal meinen Ärger Luft gelassen und virtuell auf den Tisch gehauen, wegem dem Missbrauch in der Nutzung des Wortes "Barrierefrei".

Eigentlich hätte dies ja nichts besonderes sein dürfen. In der Usability-Szene (zu der ich mich aber selbst noch nicht als zugehörig erachte, weil ich noch nicht über genügend Erfahrung verfüge) gibt es schon seit einiger Zeit Ärger über diese Situation.
Und es war auch zu erwarten, daß dies passiert.

Der Gesetzgeber hat den Kommunen und Gemeinden mit der BITV vor 2 Jahren etwas ins Arbeitsbuch geschrieben, was baldmöglichst umzusetzen ist.
Bis zum letzten Jahr konnte man dabei noch relativ easy-peasy umgehen und es auf die lange Bank schieben: Die Fristen waren noch ausreichend. Bis Ende 2003 müssten nur neue Auftritte den Verordnungen folgen. Erst aber 2005 wird es richtig ernst; Dann müssen auch alte Seiten der Verordnung folgen.

Ich denke, daß es jetzt langsam los geht und wie dies passiert, hängt mit folgenden Aspekten zusammen:
  • Durch die grossen öffentlichen Fehlschläge im Bereich IT (Maut, Arbeitsamt, bald auch Arbeitsamt II, bald auch Bundeswehr, bald auch Polizeivernetzung), wurde das Bewusstsein auch in den Amtsstuben dafür aufgerüttelt, daß man doch nicht mal schnell so von heute auf morgen im IT-Bereich etwas hinkriegt. Man braucht auch hier Zeit.
  • Durch die Finanzlage hat man nicht viel Geld für Web übrig.
  • (Web ist -jedenfalls für langjährige Mitarbeiter in beliebigen Firmen und auch für langjährige Beamte- etwas neues. Etwas, wozu man zumeist weder ein Geldtopf hat (allenfalls den PR-Topf könnte man dazu nehmen), noch wozu man ein Problembewusstsein hat. Der Webauftritt ist für viele Kollegen noch immer nur eine Art Verlängerung des Amtsblattes oder eines am PC abrufbaren Ausdrucks.)
Letzterer Aspekt wird auch dadurch bestätigt, daß die Projekte zum eGovernment so lange vor sich hinschlummerten. Es gab weder Interesse, noch Einsicht, daß es genutzt werden würde, noch einen ausreichenden Benutzerdruck.
Man denke nur an die digitale Signatur.

Erst jetzt geht es so langsam los.
Dies jedoch alles nicht dadurch, daß Bund, Länder oder Gemeinden etwas getan haben, sondern dadurch, daß ein Benutzerdruck statt findet. Immer mehr Leute entdecken, daß man im Netz sehr viele Sachen findet und serh viel machen kann. Und entsprechend werden die Ansprüche auch gegenüber öffentlichen Einrichtungen lauter:
Wenn ich heute schon bequem und in wenigen Mausklicks online Urlaub buchen kann und Geschäfte machen kann, dann erwarte ich, daß die durch meine Steuern finanzierten Behörden es auch hinkriegen, daß ich weit weniger komplexe Amtsgeschäfte auch online machen kann..


Dieser steigende Benutzerdruck steht der Situation gegenüber, daß die öffentlichen Stellen für Web entweder gar kein Budget haben oder immer weniger Geld haben.
Die Folge ist dann häufig etwas Schizofren:
  • Entweder es macht irgendein Dienstleister, der möglichst günstig ist. (Dieser Dienstleister darf dann bloss nicht mehr als 3 Euro pro Stunde nehmen. Und wehe er spurt nicht, sonst kriegt der garnichts. Und wehe er meckert, wenn er sich aufregt, daß das Geld vom Amt mehrere Monate unterwegs ist.)
  • Oder es macht ein Dienstleister, den man aus Film und Fernsehen oder durch eine Ausschreibung und überhaupt kennt, der aufgrund Weltkonzernformats natürlich über jeden Zweifel erhaben ist und es hundertausendprozentig super macht. (Nur Telekom, SAP, Mercedes-Benz, Pixelpark, Accenture und co. kommen in Frage. Nur die haben Personal um eine Website zu gestalten. Kostet zwar dann schon allein für Beratung im Vorfeld einige Tausend Euro, aber das macht nichts. Am Ende erhält man dann ein garantiert theoretisch arbeitendes System, das auch dann laufen würde, wenn man seine Mitarbeiter noch zu den 700-Euro-Tageskursen schickt und monatliche Lizenzzahlungen in Tausenderhöhe leistet.)
Leider zeigen viele Websites, daß weder die erste, noch die zweite Wahl optimal sind.
Wer seinen Dienstleister offensichtlich ausbeutet, wird nichts vernünftiges bekommen. Genausowenig wird eine Weltfirma für irgendeine Gemeinde in Hintertuttlingen optimale Leistungen bringen, denn schließlich geht es um die Aktien (und Managergehälter) und die Gemeide ist nur ein Kunde von vielen. Und Hand aufs Herz: Selbst nach dem MAUT-Desaster kaufen die Leute noch bei den beteiligten Firmen. Wen würde es da schon kümmern, wenn sich da irgendein Amtsinhaber aufregt.

Die Alternative zu diesen, im öffentlichen Bereich leider all zu üblichen Verfahren wäre es gewesen, eine neue, moderne Arten den Aquise von Dienstleistern zu nutzen:
Man schaue sich an: Wer reagiert überhaupt auf Ausschreibung? Dies sind nur große Firmen, die es sich leisten können, einen Mitarbeiter oder einen anderen Dienstleister dafür anzustellen, solche ständig zu überwachen und interessantes zu melden.
Kleine mittelständische Unternehmen, die zudem vor Ort wären (!), werden jedoch in Regel kaum etwas von einer Ausschreibung der eigenen Gemeinde mitbekommen.

Statt den alten Weg der Ausschreibungen, der übriegens von der oft falschen Annahme ausgeht, man würde mehr als 30.000 Euro ausgeben, sollte man sich eben der modernen Medien bedienen.
Wie schwer dürfte es für eine Gemeide sein, auf ihrer alten Website einen Hinweis aufzustellen, daß ein Webdesigner gesucht wird?
Wie schwer ist es auch, daß der fürs Web zuständige sich einen tag an den Computer mit Internetzugang setzt und sich in den (mehr oder minder) bekannten Mailinglisten zum Thema begibt und dort eine Anfrage stellt?

Sicher entstehen durch diese Art der Suche nach fähigen Leuten Anfangskosten durch die Recherche und vorallem durch die angeblich "verlorene Zeit" des Mitarbeiters.
Doch diese Kosten (bei derzeitig etwa 30 Euro Stundensatz im öffentlichen Bereich) sind ein Witz gegenüber den Kosten, die man dadurch spart.

Im Fall des neuen Webauftritts fürs RRZE sind wir auf diese Weise vorgegangen. (Sicher war es ein Vorteil, daß ich langjährige Erfahrung im Netz hab). Hier hab ich die Anfrage nach einen Designer dann auf den Mailinglisten verteilt, wo ich weiß, daß dort Experten sind.
Innerhalb weniger Tage erhielt ich dann Angebote von einigen der -IMHO- fähigsten Leuten aus den deutschsprachigen Raum. Und die Kostenverteilung war dann auch sehr viel moderater als es sonst je hätte sein können.

Lange Rede, kurzer Sinn:
Das Problem mit Websites, die quasi genötigt (weil die Einsicht noch nicht verbreitet ist, wird es als Nötigung empfunden) durch die BITV sind, sich an Regeln zu halten, wird in nächster Zeit noch mehr zunehmen.
Dies so lange, wie es nicht zu einer Einsicht, bzw. zu einem Verstehen bei den Verantwortlichen kommt.
Viele Jahre lang hat der bisherige Weg geklappt. Der Bürger war der Bittsteller und das "unbeholfene Kind" das sich an die Öffnungszeiten zu halten hatte und Führung brauchte.
Viele Jahre lang hat es mit den Ausschreibungsverfahren funktioniert. Man war halt unter sich und da hat es dann geklappt.
Aber inzwischen sind wir global geworden und die Menschen selbstständiger. Sachen wurden selbstverständlich, die früher noch als Blödsinn tituliert wurden.


Wie Anfang 1998, als die Internet-Manie mit den "schnellen" Modems losging, muss erst ein bewusstseinwandel, ein Lernen erfolgen. Doch zuvor werden genug Leute die Unwissenheit der Verantwortlichen ausnutzen um ihre Geschäfte zu machen.
Das Katzenjammer später dürfen andere erleben.

(Der Steuerzahler zahlt es schon. :/ )


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